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UTE RIESE Interview mit Mirjam Kuitenbrouwer (scroll down for English version) UR: Deine künstlerische Arbeit entwickelt sich parallel in ganz unterschiedlichen Medien. (Installation, Malerei, Sprache, Foto...) und sehr komplexen Verzweigungen. Mich interessiert, wie du diesen ganzen Werkkörper charakterisieren würdest...Ist seine Struktur wie ein Art Netzwerk? Wo siehst du Verdichtungen, Konzentrationspunkte... MK: Es ist nicht einfach, die verschiedenen Ausdrucksformen, derer ich mich bediene, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Es ist dann recht schnell die Rede von so etwas wie 'mixed media'. Wenn jemand mich fragt, was ich ‚tue’, kann ich nicht antworten, dass ich ausgesprochen ein Maler oder ein Bildhauer im traditionellen Sinn bin. Ich bin ein „Erbauer“. Ich baue Brücken zwischen den verschiedenen Disziplinen. In meinen Paneelen zum Beispiel kommen Malerei und Fotografie zusammen. Da wird eine Menge gesägt und gespachtelt: echt handwerkliche Arbeit. Auch Schreiben ist für mich Bauen. Man könnte sagen, dass die Möglichkeiten eines Künstlers unendlich sind. Wichtig ist, ob er in der Unbegrenztheit eine Art findet oder entwickelt, um seine Ideen zu realisieren und sie möglichst scharf zum Ausdruck zu bringen. In jedem Werk versucht man doch, etwas Herausragendes und Endgültiges, etwas ‚Ultimes’, zu erreichen. Wenn das Werk dann fertig ist, hat es seine vollkommenste bzw. höchste Form erreicht. Auch beeinflussen die Werke sich gegenseitig. Indem ich schreibe, mache ich manchmal Entdeckungen über die Paneele, die ich angefertigt habe, aber es geschieht auch umgekehrt, dass das Schreiben beim neuen Kamerahaus endet, das ich anfertigen werde. Es gibt letztendlich nur wenig Themen, die mich maßlos faszinieren. Aber mit diesen wenigen Sachen kann ich mich auf eine sehr abenteuerliche Weise beschäftigen. Dies betrachte ich als eine Freiheit und eine Errungenschaft. UR: Das „Interieur“ ist ein Thema, das in deiner Arbeit häufig vorkommt. Es ist schon seit frühen künstlerischen Epochen Genre und häufig auch Ausdruck der psychischen Befindlichkeit seiner Bewohner. Auch das „Atelierbild“ des Künstlers, das Innere seines Arbeitsraumes ist eine Form künstlerischer Selbstdarstellung... MK: Ich fürchte, dass ich mit meinem Atelier in einer Symbiose lebe. Ein anderer könnte dort unmöglich arbeiten. Ich bin mit jenem Ort ganz verwachsen. Es ist ein kleiner Raum, in dem ich arbeite, und ich muss andauernd passen und messen, um alles dort unterbringen zu können, was ich brauche. Ich baue auch regelmäßig Teile um, um die Voraussetzungen meiner Arbeit zu optimieren. Manchmal denke ich, dass meine Paneele soviel Raum bieten, weil es mir an einem solchen Raum in meiner direkten Umgebung fehlt. Die Werke verschaffen mir also den Raum, frei atmen zu können. UR: In deinen Texten hebst du sehr stark die gewissermaßen „psychologische“ Funktion deiner Arbeit hervor, in dem Sinne, als sie dir zur Selbstvergewisserung und Selbstfindung dient... MK: Mein Werk ist die Bestätigung und Aufrechterhaltung meiner Persönlichkeit. Mein Ich und meine Arbeit entwickeln sich parallel. Meine Arbeit gibt mir die Möglichkeit, mich zu entwickeln auf eine Weise, die mich mehr befriedigt, als dies auf andere Weise möglich wäre. Ein Werk zu schaffen heißt, etwas herauszukehren, etwas nach draußen zu bringen, was in einem selbst lebt. Das ist großartig, dass man etwas aus dem eigenen Inneren eine Gestalt geben kann, die kompatibel ist. Das Werk kann selbständig weiter kommunizieren mit Menschen, denen ich selbst nie begegnen werde, deren Sprache ich nicht einmal beherrsche. Im Leben und bei der Arbeit geht es darum zu lernen, mit manchen Beschränkungen fertig zu werden. Nichts ist vollkommen. Man wird getrieben von Unsicherheiten, Zweifeln. Sicherheiten stimulieren nicht. Die Bedeutungen, die man dem unterlegt, was man sieht, verschieben sich andauernd. Zwischen der Aufnahme und Wiedergabe von Dingen findet ein Marathon im Gehirn statt. Es handelt sich auch manchmal echt um Durchhaltevermögen, Kraft, Konzentration, Disziplin. Man muss etwas vollenden. Man will zu dem 'Ding' hin, will sehen, wie es aussieht. In einem fertigen Bild sieht man in fixierter Form bestätigt, woran man während der Arbeit so gezweifelt hat. Es wird eine Wirklichkeit (aufgepasst: keine ‚Wahrheit’). So ist das Bilder machen eine Art und Weise, das Leben in ganz konzentrierter Form zu erfahren. Jedes Bild ist ein Destillat, ein Teilchen erfüllten Lebens. UR: In der traditionellen Interieurmalerei ging es den Künstlern auch darum, den Betrachtenden mit hineinzuziehen in die Szenerie, bzw. im vorgestellten Raum. Dies erreichte man unter anderem durch formale Mittel, wie die Öffnung des Raumes zum Betrachter hin oder das Benutzen von (gemalten) Spiegeln. In der gemalten Paneele, die zu deiner Installation „Instant extension“, 2000 gehört, kommt zum Beispiel ein realer Spiegel vor... MK: Durch den Totewinkelspiegel sieht man sich als Betrachter im Raum hinter dem Werk widergespiegelt, und zwar so, dass man auch sich selbst maßstabsgetreu sieht, denn so ein konvexer Spiegel verkleinert enorm. Im Titel verweise ich auch auf das Vorhandensein des Spiegels: 'Instant extension' bedeutet buchstäblich 'sofortige Erweiterung’. Das ist genau das, was jenes Ding bewirkt: Sobald man es betrachtet, sieht man dort einen weiteren Raum, der sich neben dem Raum, in dem man selber steht, befindet. Zugleich ist dies auch ein unwirklicher Raum, ein bisschen Nepp. „Instant Kaffee“ ist auch kein echter Kaffee! Die Vorstellung, dass man in einem Gemälde zu sehen sein könnte, ist natürlich auch Illusion. Wie groß man es auch macht. Das Gemalte stellt genau die Grenze der Wirklichkeit dar, dahinter liegt die Phantasie. Es ist alles imaginärer Raum. Dies ist aber kein unechter, unnüzer oder minderwertiger Raum. Gerade der imaginäre Raum ist die Basis für den Austausch zwischen dem Bild und dem Betrachter. Es handelt sich um ein wechselseitiges Phänomen. Der Betrachter wird vielleicht in das Gemalte mithineingezogen, aber das Gemalte dringt auch durch bis in den Betrachter. UR: Andererseits gibt es jedoch entgegen den Bestrebungen, den Betrachter ins Bild zu ziehen - besonders in deinen gemalten Interieurs - immer wieder Brechungen und Irritationen, die eine eindeutig perspektivische Raumstruktur durchbrechen und dem Betrachter eine eindeutige „Verortung“ im Raum unmöglich machen... MK: Ja, es bleiben Räume, in denen man nur mit den Augen und den Gedanken umherwandern kann. Sie sind aus Fotos zusammengesetzt, die ursprünglich nichts miteinander zu tun hatten, weder zeitlich, noch geographisch. Die Art und Weise, wie ich diese Fotos miteinander assoziiere, ist also unabhängig von ihrem Ursprung, unabhängig von jeder Architektur, unabgängig von einer stimmigen Perspektive. Gerade die Assoziationen sind wichtig: die Verbindung der Fragmente zueinander, so wie diese Verbindung in meinem Kopf zustande gekommen ist. Auf der Ebene der Gedanken sind die Übergänge nahtlos und logisch. Sie besitzen eine gewisse Selbstverständlichkeit. Ich liebe die Malerei aus der Frührenaissance sehr. Hierin werden religiöse Szenen abgebildet in einem architektonischen Rahmen, der sehr plausibel erschien, aber in Wirklichkeit ganz unmöglich war. Der Raum trägt zur abgebildeten Geschichte bei. Er ist Dekor. Der Betrachter selbst kann das Podium nie betreten. Er muss das, was dort geschieht, einfach auf sich einwirken lassen. UR: Immer wieder stehen im Zentrum deiner Arbeit die Reflexion und die Darstellungsformen des „Sehens“. Könnte man sagen, dass es dir immer wieder um ein Erneuern und Verändern der Standpunkte geht, mit dem Ziel immer wieder auf ein „Neu-Sehen“ oder „Neu-Wahrnehmen“ von Dingen abzuzielen? MK: Unveränderlichkeit gibt es nicht. Alles ist andauernd in Bewegung. Nichts bleibt, wie es war. Das Ziel ist also nicht, die Dinge bzw. die Wirklichkeit „neu sehen zu wollen“, denn das geschieht von selbst. Ich versuche daher, mir dieser Änderungen in der Wahrnehmung klar zu machen und reflektiere darüber durch meine Arbeit. UR: In den Interieurs der früheren künstlerischen Epochen spielten häufig vielfache verschiedene Fensterausblicke und Durchgänge eine Rolle, komplexe, raffinierte (polyfokale) räumliche Situationen. Auch du arbeitest in deinen gemalten und collagierten Innenräumen damit, aber mit den monochromen Flächen stellst du den illusionistischen Räumen zusätzlich abstrakte Farbräume gegenüber, die auch ihrerseits als offene Projektionsflächen für die Imagination wirken... MK: Das stimmt. Die monochromen Oberflächen bekommen durch die sie umringenden und angrenzenden abgebildeten Fragmente von Innenräumen eine Identität. Während des Malens kommt es darauf an, alle Teile miteinander ins Gleichgewicht zu bringen. Dieses Gleichgewicht ist äußerst wichtig. Sonst fällt das gesamte Bild hinterher in viele Bruchstücke auseinander.
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Conversation with Mirjam Kuitenbrouwer (English version)
UR: Your artistic work develops simultaneously in very different media (installation, painting, language, photography …) and very complex embranchments. I would like to know how you would characterise this body of work as a whole… Is its structure like a kind of network? Where do you see condensation, points of concentration… MK: It is not easy to reduce the various forms of expression I employ to a common denominator. That can quickly lead to talk of something like ‘mixed media.’ When somebody asks me what I ‘do,’ I can’t answer that I am explicitly a painter or a sculptor in the traditional sense. I’m a “builder.” I build bridges between the various disciplines. On my panels, for example, painting and photography come together. In the process, lots of sawing and filling acts have to be carried out. Real handicraft work. For me writing is also building. You could say that the artist’s possibilities are endless. What is important is whether – in this limitlessness – he finds or develops a way of realising his ideas and expressing them with greatest possible precision. In each work one tries to attain something outstanding and final, something ultimate. Then, when the work is finished, it has reached its highest, most consummate form. And the works influence one another. By writing I sometimes make discoveries about the panels I have produced, but the reverse also happens – that the writing ends with the new camera house that I will then make. Actually there are only very few subjects which fascinate me excessively. But I can work with these few things in an extremely adventurous manner. I regard this as a liberty and an attainment. UR: The interior is a theme that often occurs in your work. It has been a genre since earlier artistic epochs and frequently an expression of the psychological state of the inhabitants. The “studio picture” – the depiction of the interior of the artist’s working space – is also a form of artistic self-depiction… MK: I’m afraid I live in a symbiotic relationship with my studio. It would be impossible for anyone else to work there. My studio and I have grown together. The room in which I work is small, and I am constantly compelled to rearrange and measure in order to be able to fit in everything I need. I regularly alter parts of the room in order to optimise my working conditions. Sometimes I think that my panels offer as much space as they do because I lack such space in my direct surroundings. In other words, the works create the space I need to breathe freely. UR: In your texts you strongly emphasise the fact that your artistic work has a “psychological” function to a certain degree, in the sense that it aids you in the process of self-assurance and self-discovery... MK: My work is the confirmation and maintenance of my personality. My self and my work develop parallel to one another. My work gives me the opportunity of developing in a way that I find much more satisfying than would be possible any other way. To make a work means to show something, to bring something out that lives inside one. It’s fantastic, that one can give something from one’s own inside a form that is compatible with the outside world. The work can communicate on its own with people I will never meet, whose language I can’t even speak. The point of life and of work is to learn to cope with many limitations. Nothing is perfect. One is driven by uncertainties, doubts. Certainty is not stimulating. The meanings one ascribes to the things one sees shift constantly. A marathon takes place in the brain between the recording and the playback. Sometimes real staying power is required… strength, concentration, discipline. One must complete something. One wants to get to the ‘thing,’ to see what it looks like. In the finished picture one sees in a fixed form the confirmation of what one so doubted during the working process. It becomes a reality (careful: not a ‘truth’). The making of pictures is therefore a means of experiencing life in very concentrated form. Every picture is a distillation, a particle of life fulfilled. UR: In painting interiors the artist has traditionally been concerned with drawing the observer into the scenery or the spatiality, i.e. giving him the feeling of standing in the picture himself, or in the imagined room. This was attained partially by formal means, such as the opening of the room towards the observer or the employment of (painted) mirrors. In the painted panel related to your work “Instant Extension, 2000,” for example, a real mirror has been built into the picture… MK: Through the small convex “blind-spot” mirror one sees oneself reflected as the observer in the room behind the work, and due to the great reduction in size brought about by the convexity, one sees oneself true to scale. The title “instant extension” is also meant as a reference to the existence of the mirror: Instant extension is exactly what the mirror brings about: as soon as one looks at it, one sees another room adjacent to the room one is standing in oneself. At the same time it is an unreal room, a bit of a gyp. “Instant coffee” isn’t real coffee either! The idea of being able stand in a painting or walk around in it is naturally also a hoax. No matter how large the picture is blown up. That which is painted represents precisely the border of reality, behind it lies the imagination. It is all an imaginary room. But it is not an un-genuine, useless or inferior room. The imaginary room is what serves as the basis for the exchange between the picture and the observer. What we have here is a reciprocal phenomenon. The observer is perhaps drawn into the painting, but the painting also pushes itself outward and into the observer. UR: On the other hand, contrary to the endeavours to draw the observer into the picture, one frequently finds refractions and irritations – particularly in your painted interiors – which break through the clearly perspectival space and rob the observer of the possibility of becoming clearly positioned in the space... MK: Yes, the paintings remain spaces in which one can only wander with one’s eyes and thoughts. They are assembled from photographs that originally had nothing to do with one another, neither temporally nor geographically. In other words, the manner in which I associate these photos with one another is independent of their origin, independent of any architecture, independent of logical perspective. It is precisely the associations that are important: the connection of the fragments to one another in the same way this connection materialised in my mind. On the level of thought, the transitions are smooth and logical. They possess a certain self-evidence. I love the painting of the early Renaissance. Here religious scenes are depicted in an architectural framework which appears very plausible but was actually totally impossible, almost one-dimensional. The setting contributes to the story that is depicted. It is like stage scenery. The observer himself can never enter the stage. He must simply allow that which happens there to take effect on him. UR: Again and again, reflection and the depictive forms of “seeing” are at the core of your work. Could one say that you are concerned with constantly renewing and changing the point of view, with the goal of attaining a constant “seeing anew” or “perceiving anew” of things? MK: There is no such thing as immutability. Everything is in a constant state of flux. Nothing remains as it was. So the aim is not to try to see things or reality anew, because that happens of its own accord. I therefore endeavour to get these changes of perception clear in my own mind and I reflect upon them by means of my work. UR: In the interiors of earlier artistic epochs, multiple, differing window vistas and passageways frequently played a role: complex, sophisticated (polyfocal) spatial situations. You also work with these effects in your painted and collaged interiors, but through the use of monochrome zones you contrast the illusions of depth with abstract colour spaces, which for their part also serve the imagination as open projection surfaces... MK: Right. The monochrome surfaces obtain an identity through the depicted fragments of interiors that surround and adjoin them. During the painting process it is necessary to balance all of the parts with one another. This balance is extremely important. Otherwise the entire picture will later break apart into irreconcilable pieces.
German-English translation: Judith Rosenthal
Telescopium Kunsthalle Wilhelmshaven 2002
Wim Bosch Suzan Drummen Mirjam Kuitenbrouwer Mieke van Schaijk William Speakman Maurice van Tellingen
curator: Ute Riese |
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